Kultur hoch 10 im Interview mit Gertrud Teller

Gertrud Teller ist Leiterin des Sulzer Kinder- und Jugendbüros in Bergfelden und war zum ersten Workshop des Projekts Kultur Hoch 10 am 18. Juni eingeladen. Dort hat sie das Projekt kennengelernt und dem Entstehungsprozess beigewohnt. Nun ist ein halbes Jahr vergangen und wir treffen sie im Kinder- und Jugendbüro in Bergfelden wieder. Die Fragen stellte Florian Maier.

Gertrud Teller

Leiterin des Sulzer Kinder- und Jugendbüros

Was verstehen Sie unter Kultur?

Meines Erachtens entsteht Kultur immer da, wo Menschen sind. Es geht gar nicht anders. Das beginnt beim Essen, Schmuck, Mode, Architektur, natürlich auch Musik, Kunst und all das, wo der Mensch Spuren hinterlässt. Manche dieser Spuren bestehen über Jahrhunderte, gar Jahrtausende hinweg.

Was für kulturelle Veranstaltungen besuchen Sie am liebsten? Gibt es da Überschneidungen mit ihrer Arbeit?

Natürlich besuche ich gerne das Kinderfest und auch Veranstaltungen im Jugendhaus. Die Oper in Glatt hat mir gut gefallen. Ansonsten gehe ich gerne ins Kino und zu Musicals.

WICHTIG IST ABER DIE BASIS AUS GEGENSEITIGEM RESPEKT UND TOLERANZ

Finden Sie Kultur als gesellschaftliche Aufgabe wichtig?

Dadurch, dass Kultur immer da entsteht, wo Menschen zusammen sind, müssen diese eine Übereinkunft finden – die klassische Wertediskussion. Wenn sich Menschen in einem Raum begegnen, ist das immer ein Aushandlungsprozess und erfordert immer ein Stückweit Respekt und Toleranz gegenüber dem kulturellen Ausdruck des anderen. Natürlich kann man dann auch unterschiedlicher Meinung sein. Wichtig ist und bleibt aber diese Basis aus gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Toleranz.

Begegnet Ihnen dieser Aushandlungsprozess auch bei Ihrer Arbeit im Kinder- und Jugendbüro?

Ja, im Jugendcafé kommen viele unterschiedliche Kulturen zusammen und die gemeinsame Zeit dort soll eine schöne Zeit sein. Das geht meiner Meinung nach nur, wenn wir uns nicht beleidigen und respektvoll und tolerant begegnen. Dafür Sorge zu tragen, ist im Grunde der Kern meiner Arbeit: Zu sehen, was ist das Bedürfnis des einen und was ist das des anderen und wie gelingt es uns in einem gemeinsamen Raum gut zusammen zu kommen.

Ein kulturelles Projekt, Kunst oder auch Literatur, kann genau dazu beitragen, dass sich Menschen unterschiedlicher Kulturen miteinander an einen Tisch setzten und darüber nachdenken, was bringen wir jetzt gemeinsam zu Papier.

Muss man Kultur schützen?

Es wird immer Menschen geben, die sagen, Briefmarken z.B. sind Kultur und für mich schützenswert. Für den einzelnen gibt es das immer, aber ob das auch für alle Gültigkeit hat, kann ich nicht beantworten. Dass es immer solche Menschen geben wird, zeigt die bloße Vereinsvielfalt. Es werden sich hoffentlich immer Menschen finden, die sagen, für diesen Erhalt engagiere ich mich, damit das nicht verloren geht. Und manche Dinge, die niemand sieht oder wahrnimmt, gehen vielleicht auch mal verloren. Das kann tatsächlich passieren.

Kultur im ländlichen Raum – ein Problem oder eine Chance?

Kultur im ländlichen, wie im städtischen Raum ist nicht grundsätzlich verschieden. Städte versuchen genauso Stadtteile für sich zu gewinnen. Es geht darum, den Nachbarn zu sehen. Wobei Kultur in einer Großstadt schon eine andere Vielfalt hat. Aber Kultur, egal wo sie ist, sehe ich immer als Chance! Kultur ist für mich ein Raum der Möglichkeiten. Wenn man nun ein Projekt wie ihres hat, dann ist das eine Möglichkeit für Menschen, kulturellen Ausdruck für sich zu finden. Der Ort ist da gar nicht so entscheidend, eher welche Möglichkeiten und welche Räume gebildet werden.

KULTUR IM LÄNDLICHEN RAUM STEHT NICHT IM WIDERSPRUCH ZU KULTUR IN DER STADT

Viele Leute fahren in Städte, um dort Kultur zu erleben. Ist das Mangels Angeboten hier vor Ort oder warum?

Die Welt hört ja in Sulz nicht auf. Es ist auch schön, sich etwas Welt außerhalb von Sulz anzusehen. Deshalb reisen Menschen. Kultur im ländlichen Raum steht nicht im Widerspruch oder in Konkurrenz zu Kultur in der Stadt.

Wie könnte man Kultur im ländlichen Raum unterstützen?

Ich fände es wichtig, dass man einen Raum eröffnet, wo Menschen ein Stück ihrer Entwicklung machen können, z.B. in den künstlerischen Ausdruck gehen oder Musik machen können. Das Wichtige ist dabei, dass das nicht vorgegeben wird. Es ist wichtig zu hören, was die Menschen im Ort sagen und sich wünschen. Dieses offene Ohr schafft einen Raum, um weiterzukommen.

Ein Beispiel: Selbstorganisierter Betrieb im Jugendhaus. Das heißt, dass die Jugendlichen selbst entscheiden können, welche Farbe ihre Wand hat. Es ist ihr Raum und das bedeutet für sie tatsächlich, sich ein Stück Welt anzueignen und einen Ausdruck zu finden, der dann auch Umsetzung findet.

DER MENSCH MUSS IM EIGENEN ENGAGEMENT EINEN MEHRWERT FÜR SICH SELBST ENTDECKEN

Die zeitlichen Ressourcen vieler sind knapp, besonders wenn sie noch in Lohn und Brot stehen. Was müsste passieren, damit auch diese sich engagieren wollen und können?

Mit diesem Problem bin ich auch unterwegs. Es ist immer gut, wenn die Menschen einem selbst bzw. dem Projekt den Auftrag geben und somit der Impuls von den Menschen selbst kommt. Meine Aufgabe ist es dann, einen Raum zu schaffen und zu helfen. Der Mensch muss entdecken, dass das eigene Engagement einen Mehrwert für sich selbst darstellt. Dann kommt der innere Antrieb, etwas für sich selbst und für andere zu tun. Dann arbeitet man an der eigenen Perspektive und fühlt sich selbst in der Gemeinschaft wirksam. So kann man auch heute noch Menschen für ein Ehrenamt gewinnen.

Ehrenamt hat allerdings die Gefahr ins Ausgenutzt-werden zu kippen. Wann bin ich nur noch Dienstleister? Dann kommt der Punkt, an dem man sagt: „So habe ich mir mein Engagement nicht vorgestellt.“ Vereinsvorständen geht es leider oft so, was es dann schwierig macht, denn diese Menschen geben dann irgendwann auf.

DIE LEUTE DÜRFEN DURCH EIN PROJEKT NICHT INSTRUMENTALISIERT WERDEN

Ist es dann schwierig, Menschen zu motivieren, sich zu engagieren?

Nein, eigentlich nicht. Ich finde, dass jeder, der da unterwegs ist, nicht den Erfolg seines Projekts in den Mittelpunkt stellen sollte und sagen, der Mensch muss jetzt für den Erfolg des Projekts arbeiten. Es ist sinnvoll ein Projekt auch mal eine Zeit ruhen zu lassen, bis die Menschen es selbst weiterführen wollen, weil sie den eigenen Mehrwert erkannt haben und dieser bei ihnen bleibt. Die Leute dürfen nicht durch ein Projekt instrumentalisiert werden oder sich gar so fühlen. Dann ziehen sie sich nämlich zurück und alle Würdigung hilft nicht mehr, weil der Mensch verloren wurde.

Wie kann man dem entgehen?

Für den Wanderzirkus gewinne ich z.B. viele Mitarbeiter und sehe bei diesen oft, dass sie nicht nur Mitarbeiter sind, die mithelfen, sondern Menschen, die für sich selbst aus diesem Engagement etwas mitnehmen möchten. Deshalb machen einige bei mir schon zehn Jahre Wanderzirkus oder Indianerlager und das ist wirklich großartig!

Welche zusätzlichen kulturellen Angebote wünschen Sie sich?

Es ist schön, wenn noch nicht alles fertig ist und man noch an etwas arbeiten kann. Das wird wahrscheinlich auch immer so bleiben, weil immer wieder neue Menschen kommen und mit diesen natürlich auch neue Ideen.

SIE BRAUCHEN GROSSE OHREN, SEHR VIEL ZEIT UND SEHR VIEL GEDULD

Was wollen Sie dem Projekt Kultur Hoch 10 mit auf den Weg geben?

Da steht natürlich unheimlich viel Engagement dahinter und es trägt auch unheimlich viele Chancen in sich. Ich glaube, das eigentlich Wichtige für mich ist auch hier, zu hören, wie man die Menschen vor Ort mitnehmen kann. Was ist der Mehrwert für sie? Sie brauchen große Ohren, sehr viel Zeit und sehr viel Geduld. Ich bin jetzt zehn Jahre hier in der Jugendarbeit und noch lange nicht am Ziel. Man darf aber nicht aufgeben und es wird sich auch etwas ergeben, denn es tut sich ja bereits was. Ansonsten möchte ich Ihnen gerne Mut mitgeben, weiterzumachen, auch wenn Sie Gegenwind spüren und natürlich den Entwicklungen Raum und Zeit einzuräumen.

Danke, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.


Das Projekt “Kultur hoch 10 in Sulz am Neckar” wurde initiiert vom Förderverein Gustav Bauernfeind Kulturhaus e.V., der Stiftung KULTURLABOR und dem Kulturamt der Stadt Sulz. Es wird gefördert vom Zentrum für Kulturelle Teilhabe Baden Württemberg.